Von der Tragik des Staates
April 2007
Lachen und Weinen liegen in Israel nah beieinander. Das manifestiert sich besonders in der Tragik des Staates selbst: in der tiefen Trauer um jene, die in endlosen Überlebenskämpfen ihr Leben lassen mussten, und in der ausgelassenen Freude darüber, dass er gegründet wurde und seit Jahrzehnten seinen Feinden trotz. Und so liegen denn die beiden Tage, die dieser Gegebenheiten gedenken, nah beieinander. Am Yom HaZikaron, wörtlich dem „Tag der Erinnerung“, gedenken wir der gefallenen Soldaten. Er geht nahtlos in den Yom HaAtzmaut, den Unabhängigkeitstag, über.
Wie alle jüdischen Feiertage, so beginnen auch diese am Vorabend, mit Sonnenuntergang. Sobald sich die Dunkelheit über das Land senkt und damit der 4. Tag des Monats Iyar Einzug hält (gemäss dem jüdischen Kalender), fangen überall im Land Gedenkveranstaltungen an. Um 20:00 Uhr dröhnen allerorts Sirenen durch die Luft, laut und klagend: Israel hält inne, kommt zur Ruhe, kehrt in sich. Selbst jene, die nicht einer Trauerfeier beiwohnen, lassen alles fallen und erheben sich für 60 Sekunden. Stehen, lauschen, erinnern sich. Nicht wenige wischen sich Tränen aus den Augen, besonders in diesem Jahr, da zu den zahllosen Kriegen ein weiterer hinzugekommen ist. Die Wunde ist noch offen, der Schmerz zu frisch.
Uns erwischt die Sirene beinahe unvorbereitet bei der allabendlichen Zu-Bett-Geh-Routine. Hastig stelle ich den Fön aus und knie mich zu Yair, der entgeistert zu mir aufschaut ob des plötzlichen Lärms. In einfachen Worten erkläre ich ihm, was dieser Krach zu bedeuten hat. Und als ob er versteht, bleibt er stumm und lauscht, reglos, bis die abrupt folgende Stille ihn aufschreckt.
Traurige Lieder werden gesungen, die Zeugnis von einem schweren Los geben. Die Ausdruck eines Versuchs sind, mit einer Realität fertig zu werden, in der Krieg und Verlust nicht der Vergangenheit angehören. Jüdisches Erbe. Doch wenn nach diesem Tag wieder die Dunkelheit Einzug hält, machen die Tränen einer grossen Freude Platz, einer unendlichen Dankbarkeit, die sich in üppigen Feuerwerken am nächtlichen Himmel entlädt: Wir haben ein Land, das uns gehört!
Bei uns gibt es staunende Kinderaugen und einen Mund, der sich zunächst ein bisschen ängstlich verzieht, nur um dann fasziniert zu rufen: „Ima, ze kmo geshem bashamaim!“ („Mama, das ist wie Regen am Himmel!“) und begeistert nach mehr zu verlangen, als die Farbexplosionen langsam versiegen.
Bis spät in die Nacht wird gefeiert, gesungen und getanzt. Ganz Israel ist auf den Beinen. Wer kann, fährt irgendwann nach Sonnenaufgang raus ins Grüne. Heute wird grillt, was das Zeug hält. Kaum jemand, der zu Hause bleibt. Und über allem flattert die israelische Flagge im Wind, unzählbar, überall: ein blauer Davidsstern gerahmt von den Streifen des Tallit, des jüdischen Gebetsschals.
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