Angst im Bauch

August 2006

Diesmal fällt der Abschied noch schwerer als sonst. Da ist der Trennungsschmerz, der sich einfach nicht abschütteln lassen will und der, wenn er sich doch endlich verflüchtigt hat, unversehens zurück kommt, wenn mein Anderthalbjähriger fragend ruft: „Opa?“ Und der, wenn er keine Antwort erhält, ein leises „Oma?“ hinterherschiebt. Alle Erklärungen nützen da nichts. Wie soll er denn verstehen, dass Deutschland weit weg ist und wir die gerade so Liebgewonnenen erst in ein paar Monaten wiedersehen werden?
Und da ist, eigentlich zum ersten Mal, die Angst, in ein Haus zurückzukehren, das nicht sicher ist, eigentlich auch nie sicher war, denn die Bedrohung durch die weitreichenden Raketen der Hisbollah ist ja nicht neu, nur die Entschlossenheit, sie auch einzusetzen, sie abzufeuern, ist jetzt traurige Realität, auch wenn die Absicht sicher schon lange bestand. Die Wahrscheinlichkeit, dass Netanya attakiert wird, ist nicht klein. Die Möglichkeit, dass dabei Zur Moshe unter Beschuss gerät, besteht. Doch wie gross ist die Gefahr, dass eine Rakete genau auf unser Haus fällt und dann auch noch den stahlbetonierten Sicherheitsraum zerstört, in den wir uns im Falle des Falles flüchten würden?
Abends und Nachts hören wir die schweren Flugzeuge des Militärs gen Norden fliegen. Ein tiefes Brummen, das näher kommt, nur um sich wieder zu entfernen. Am Vormittag dann kehren sie zurück, leichter sicher, wie von einer Last befreit, aber nicht weniger bedrohlich. Kaum mache ich den Fernseher an oder lese Nachrichten im Internet. Die Situation ist schon frustrierend genug, ohne zu lesen, wie viele Menschen diesmal umgekommen sind. Auf israelischer Seite, auf libanesischer Seite. Berichtet wird immer von den Zivilisten, aber wie viele von ihnen waren wirklich Terroristen? Warum soll ich mich tagtäglich mit den selben Fragen herumschlagen? Wer ist im Recht, wer im Unrecht? Was gibt es über die (Un)Verhältnismäßigkeit von Gewalt noch zu sagen, das in den letzten Wochen nicht bereits gesagt wurde?
Ich bin es auch leid, mich über die voreingenommene Berichterstattung im Ausland aufzuregen. Objektivität gibt es nun mal nicht, und es ist immer leichter, sich auf die Seite der scheinbar Schwachen zu stellen. Das verstehe ich ja. Weinende Kinder und Frauen. Verzweifelte Deutsch-Libanesen, die bei Verwandten zu Besuch waren, als der Wahnsinn begann. Dabei wäre es dazu vielleicht nicht gekommen, wenn sich Israel nicht im Jahr 2000 aus dem Südlibanon zurückgezogen und so der Hizbollah das Feld geräumt hätte. Oder wenn die Libanesische Regierung den Auftrag ernst genommen hätte, gemäss UN-Resolution 1559 die Hisbollah Miliz zu entwaffnen.
Viele Bewohner des Nordens sind zu Verwandten und Freunden ins Zentrum Israels geflohen; davon künden ungewöhnlich lange und hartnäckige Staus und die fremden Gesichter, die man auch bei uns im Ort überall sieht: im Supermarkt, auf dem Spielplatz, auf dem Weg zur Synagoge. Im ganzen Land laufen Hilfsaktionen für die betroffenen Familien, allerorts werden ihnen Vergünstigungen angeboten.
Derweil geht für uns erst einmal der Alltag weiter. Heute morgen haben wir eine Stipvisite in dem Hort gemacht, den Yair ab September besuchen wird. Die Kinder dort spielten so hingebungsvoll und unbefangen, als gäbe es nichts Böses auf der Welt, und Yair wollte gar nicht gehen, als ich fand, jetzt sei es Zeit. Ich bereite mich unterdessen im Geiste auf meine neue Arbeitsstelle vor. Gehe zum Zahnarzt. Plane den Ausstand in meiner alten Firma. Kaufe ein. Bringe das Auto in die Waschanlage und ein paar Sandalen zum Schuhster. Schaue im Fitnessstudio vorbei. Alles ganz normal. Und so wird es hoffentlich auch bleiben. Für die Menschen im Norden Israels und im Süden Libanons bleibt nur ein Satz zu wiederholen, den man hier zur Zeit allerorts hört und der ein Spiegel der hiesigen Mentalität ist: Yihiye beseder – Alles wird gut!

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