Veränderungen

November 2004
Tel Aviv – Prag – Bad Füssing – Salzburg – Prag – Tel Aviv. Hinter uns liegen neun eindrucksreiche Tage, geprägt von viel frischer Luft, wehenden Blättern, stürmenden Wolken, klassischer Musik, barokker Architektur, Mozartkugeln, tschechischer Küche, reichlich Bier (aber nicht für mich), ein wenig Regen und einer kurzen, aber glücklichen "Familienzusammenführung". Als wir nach diesen Erlebnissen in den frühen Morgenstunden eines sonnig-warmen Novembertages wieder am Tel Aviver Flughafen landen, scheint nichts mehr, wie es war. Statt am schäbigen Flugsteig 2 mit seinen endlosen Wartezeiten kommen wir am erst vor wenigen Tagen eröffneten Flugsteig 3 an, dessen Geräumigkeit und Glanz uns in echtes Erstaunen versetzt und meinem Mann den stolzen Ausruf eines typischen Israelis entlockt: "Jetzt haben wir einen richtigen Terminal!", als sei er persönlicher Teilhaber dieses Prachtbaus.
In den nächsten Tagen verfolgen wir gespannt die Entwicklungen im Fall Arafat, empören uns über Suha, die im Angesicht des nahenden Todes ihres Mannes ihr bequemes Dasein dahinschwinden sieht – ihre zwei Privatjets, die $100.000 monatlich und all das -, amüsieren uns über die irreführende Berichterstattung (ist er nun tot oder lebt er noch?) und sind ein wenig entsetzt, dass Arafats Grab bereits geschaufelt wird, während sein Herz noch schlägt. Dann schließlich die endgültige Meldung: der Palästinenserführer ist gestorben und schon auf den Weg gebracht zur großen Trauerfeier nach Kairo. Da macht sich ein wenig Sorge breit – waren die letzten Wochen vielleicht nur die Ruhe vor dem Sturm, bricht jetzt das Chaos herein?
Beschuldigungen und Drohungen von palästinensischer Seite lassen natürlich nicht lange auf sich warten, obgleich die Ärzte eine Vergiftung Arafats definitiv ausgeschlossen haben. Aber da keine Diagnose an die Öffentlichkeit gedrungen ist, ist es natürlich ein Leichtes, Behauptungen aufzustellen, die nur noch schwer nachzuprüfen sind. Dennoch – eine Ära neigt sich dem Ende zu, und die Ungewissheit veranlasst die hiesigen Organe, ihre Sicherheitsvorkehrungen zu verschärfen: mehr Straßensperren, verstärkte Kontrollen, erhöhte Alarmbereitschaft. Sollte erwähnt werden, dass Arafat am Todestag Rabins ins Koma fiel? Kann man in diesen Zufall Bedeutung hineinlesen? Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, welche Auswirkungen Arafats Tod auf das Klima und die Zukunft in dieser Region hat. Unnötig zu erwähnen, dass die Hoffnungen so groß wie die Ängste sind. Jeder hier wünscht sich endlich Ruhe und Frieden für beide Seiten.
Damit nicht genug, stehen auch beruflich strukturelle Veränderungen an. Wir ziehen vom Großraumbüro in unsere eigenen vier Wände, verabschieden uns innerhalb von zwei Wochen von unserer Team- und unserer Abteilungsleiterin, lernen ihre Nachfolger kennen (welch eine Erleichterung!), und warten gespannt auf einen zusätzlichen Redakteur, der aber erst noch gefunden werden muß – was sich als nicht so einfach herausstellt, weil einer nach dem anderen durch die firmeninterne Prüfung fällt oder die Vorstellungsgespräche nicht meistert. Auf der anderen Seite quält mein Mann sich bis zum Rand der Depression mit der Entscheidung ab, ob es richtig war, den Vertrag in einer (übrigens deutschen) Firma zu unterschreiben, in der er im Dezember als Software-Architekt anfangen soll, oder ob er den bisherigen Karriereweg im IT-Bereich vielleicht doch hätte weitergehen sollen. Trennungen sind eben nie leicht und Scheidewege immer ein Risiko, das es abzuwägen gilt.Und nicht zuletzt stehen familiäre Veränderungen an, die sich momentan physisch in der sich rundenden Form meines Bauches manifestieren, der mitunter schon unkontrolliert unter der wachsenden Kraft kleiner Fäuste und winziger Füße erzittert. Bis zum Mutterschutz bleiben mir noch drei Monate, vorausgesetzt ich arbeite wie der Großteil der werdenden Mütter hier bis zum Tag der Geburt, um die kostbaren 12 bezahlten Wochen nicht vorab zu vergeuden. Aber langsam wird der Gedanke Realität, und das nicht nur ob der Krabbeldecke und des Teddybären, die meine Eltern uns bereits mit auf den Weg gegeben haben. Diese Monate sind ganz klar eine Zeit des Umbruchs und des Neuanfangs. Die positive Energie, die damit einhergeht, werden wir auf allen Ebenen zu nutzen wissen.

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