Sederabend

April 2007

Pessach ist da: Die Schränke sind sauber, alle Krumen gesäuerten Teiges (Chametz genannt) weitgehend verbannt (abgesehen von dem Vorrat, den wir für unseren Ostergast angelegt haben), die Mazzen (nur aus Mehl und Wasser bestehende Fladenbrote) liegen bereit und wir, frisch geduscht und herausgeputzt, machen uns auf den Weg zum grossen Familienfestmahl, dem Seder.

Doch heute stürzt sich keiner auf das Essen. Alle sitzen brav um den Tisch, lesen reihum Passagen aus der Pessach-Haggadah, der überlieferten Geschichte vom Auszug aus Ägypten, schieben hier und da eine symbolische Speise in den Mund oder nippen an einem Glas Wein (insgesamt sind es vier Gläser, die an diesem Abend gelehrt werden).

Ich zähle wie jedes Jahr hastig die Textpassagen ab, damit ich mich schon in meinen Teil einlesen kann. Aber wie jedes Jahr geht meine Rechnung nicht auf, ich werde mit einem Abschnitt übberrascht, mit dem ich nicht gerechnet habe (weil mal wieder jemand zu viel oder zu wenig gelesen hat) und stolpere unbeholfen durch die hebräischen Schriftzeichen, bis mir ganz heiss ist und ich mit hochrotem Kopf das Heft an meinen Nachbarn abgebe. Im Hebräischen sind Sprechen und Lesen eben zwei verschiedene Paar Schuhe, und während mir das eine wunderbar passt, drückt das andere an mehreren Zehen zugleich.

So schreitet der Seder voran. Für uns liegt über allem dieses Jahr ein Hauch von Wehmut, denn im nächsten Jahr werden wir vermutlich nicht im Kreise der Familie feiern. Schon bald packen wir unsere Koffer, um für unbestimmte (aber begrenzte) Zeit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Zwischenstation zu machen, noch einmal Uniluft zu schnuppern und dem geregelten Alltag ein wenig den Rücken zu kehren. Und wie meist, wenn grosse Veränderungen anstehen, durchlaufen wir Hochs und Tiefs, mal von kribbelnder Aufgregung und Vorfreude gepackt, mal von der bösen Stimme des Zweifels heimgesucht, alles in allem aber der willkommenen Abwechslung entgegenfiebernd.

Es ist kurz vor Mitternacht, als ich mich gut gemästet auf den Weg zum Flughafen mache, um unseren Ostergast abzuholen. Die Staus unterwegs, die aus dem Flugzeug besonders gut zu erkennen sind, vom Rundfunk aber leider nur ungenügend erfasst werden, künden von runden Bäuchen im ganzen Land. Das ist Pessach.

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