Weihnachtliches Chanukka

Dezember 2003
Erleichtert trete ich aus der Poststelle ins gleißende Sonnenlicht eines herrlichen Freitagmorgens. Es ist vollbracht. Meine Weihnachtsgeschenke sind auf dem Weg nach Deutschland—gut verpackt und so rechzeitig, dass sie auch trotz möglicher vorweihnachtlicher Verzögerungen am Heiligabend unterm Baum liegen sollten. Das hoffe ich jedenfalls.
Ein bisschen traurig bin ich schon, dass ich in diesem Jahr einmal mehr nicht dabei sein kann. Aber die Umgebung macht es mir leicht. Die Abwesenheit möglicher Reizauslöser lässt keine Weihnachtsstimmung aufkommen, und daher bleibt es mir überlassen, die Atmosphäre bis zu einem Grad selber zu kreieren, der genießbar ist, ohne in Melancholie umzuschlagen. Kerzen, Spekulatius und Lebkuchen (mein wohlgehüteter, sparsam eingeteilter Vorrat!), ein mit Zimt bestäubter heißer Kakao, passende Musik—und schon durchdringt die heimelige Gemütlichkeit ein Hauch von vorweihnachtlicher Sentimentalität. Der allerdings verfliegt, sobald ich die Wohnung verlasse.
Eines morgens mache ich mich also auf nach Tel Aviv, um meine Weihnachtseinkäufe zu tätigen. Diese Stadt ist für mich auch nach Jahren noch immer ein Labyrinth, und so sehr ich ihre Dynamik und Vielseitigkeit mag, so wenig kann ich mich für ihr verkehrstechnisches Chaos begeistern. Mit einer Karte auf dem Schoß finde ich langsam meinen Weg ins Zentrum. Ich hatte gehofft, eine gebührenfreie Parklücke zu finden, aber nachdem ich zwanzig Minuten die Gegend abgefahren bin, durch Einbahnstraßen und schmale, von üppigen Fikusbäumen gesäumte Gassen, immer darauf bedacht, nicht die Orientierung zu verlieren, gebe ich schließlich auf und biege auf einen bewachten Parkplatz am Sderot Rothschild ein.
Von hier aus muss ich ein gutes Stück zu Fuß gehen, den breiten Boulevard hinunter, in dessen Mitte ein von hohen Bäumen überschatteter Grünstreifen mit Fahrrad- und Fußgängerweg verläuft, und vorbei an einer faszinierenden Vielfalt architektonischer Formen—darunter helle Gebäude im Bauhausstil der 1930er Jahre neben glitzernd-modernen Glastürmen—, bis ich zur Rehov Sheinkin gelange.
Sheinkin wird nicht umsonst das „Greenwich Village“ von Tel Aviv genannt. Hier wohnen vor allem Künstler und Studenten. Die zahlreichen Cafés sind immer gut besucht, die Tische auf den Bürgersteigen bis auf den letzten Platz besetzt, und neben Designer-Läden und Künstler-Ateliers findet man Second-Hand-Boutiquen, individuelle Geschenk-Shops, Plattenläden und Buchantiquariate, Piercing-Studios und Juweliere. Hier tanzen chassidische Juden mit wippenden Schläfenlocken ausgelassen auf der Straße, während alternativ-gekleidete Hippies für House-Parties werben. Hier pulsiert das Leben kunterbunt—und ich stürze mich mitten hinein.
Während ich meine Weihnachtsgeschenke zusammensuche, entdecke ich in einer Bäckerei die ersten Souvganiot der Saison – Chanukka steht vor der Tür, das achttägige jüdische Lichterfest, das fast jedes Jahr zeitgleich mit Weihnachten gefeiert wird. Die Legende erzählt, dass die Juden den von den Griechen verunreinigten Tempel zurückeroberten, aber nur ein einziges Fläschchen mit Öl fanden, um das Ewige Licht zu entzünden. Obwohl nur ausreichend für einen Tag, brannte das Licht acht Tage lang (bis neues Öl hergestellt war). An Chanukka zünden die Menschen daher Lichter an und stellen sie für alle sichtbar in die Fenster, jeden Tag eine Kerze mehr. Traditionell werden ölige Speisen gegessen. Kinder lieben dieses Fest besonders, weil sie – wie bei uns an Weihnachten – Geschenke bekommen.
Statt von Christstollen und Glühwein lasse ich mich also am Ende meiner Weihnachtseinkäufe vom unwiderstehlich süßen Duft der frischen, unseren Berlinern sehr ähnlichen Souvganiot verführen. Mit dem klebrigen Gebäck in der einen Hand, meinen Einkaufstüten in der anderen und dem Geschmack von Puderzucker und Marmelade im Mund mache ich mich auf den Weg zum Auto. Merkwürdig, denke ich, der eine feiert Weihnachten, der andere Chanukka und der dritte Zuckerfest. Und ein jeder erwartet zu seiner Zeit die Reizauslöser, mit denen er aufgewachsen ist, und vermisst sie schmerzlich, wenn sie ausbleiben. Ob mit der Zeit andere Dinge denselben Stellenwert annehmen können? Wer weiß. Nächste Woche jedenfalls werde ich mit meiner Schweizer Freundin Weihnachtsplätzchen backen. Soviel steht fest.

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