Überstunden

Mai 2004
"Pizza, möchte jemand Pizza?" Mal wieder sind Überstunden angesagt. Ob Programmierer, Qualitätssicherung oder Dokumentation, in diesen Tagen arbeiten wir, was das Zeug hält. Diesen Monat liege ich mit 25 Stunden zusätzlich ganz gut im Rennen. Der Pizzaservice boomt, mein Fitneßstudio fragt an, warum ich nicht mehr komme, und zu Hause herrscht das Chaos. Zu allem Überfluß kündigt auch noch unsere Putzfrau, und die von ihr organisierte "Freundin, die noch Arbeit sucht", läßt uns gleich beim ersten Mal hängen. Wunderbar.
Ich grüble gerade darüber nach, warum die neue Single Sourcing Software eine nummerierte Liste nach einem eingefügten Tip wieder mit 1 beginnt, warum eingerückte Absätze hängen, obwohl sie linksbündig sein sollten, und ob konditionaler Text diese Probleme verursachen könnte, als plötzlich meine Teamleiterin hinter mir steht: ein Patch liegt an, den ich unbedingt sofort bearbeiten muß. Tut ihr leid. Gleichzeitig trudelt eine email aus der Entwicklung ein: eine Fehlermeldung, die schnell redigiert werden muß. Ich schicke meine Korrekturen umgehend zurück und erhalte als Antwort: "Wow, das hat ganze 1:55 Minute gedauert!" Dann widme ich mich dem Patch, nicht ohne einen schnellen Blick auf den Papierstapel zu meiner Linken zu werfen, der wächst und gedeiht, als hätte er ein Eigenleben. Korrekturen und Ergänzungen für das 600seitige Installationshandbuch...
Irgenwann klingelt das Telefon. Automatisch hebe ich den Hörer ab. "Hallo?" "Jetzt reicht's! Ich verlasse dich! Du rufst mich schon wieder nicht an!" Mein Mann spielt den Theatralischen. Das dauert ungefähr zwei Minuten. Dann lacht er und fragt, ob alles in Ordnung sei und daß ich mal Pause machen solle zwischendurch. Wie's mit einem Frühstück aussähe morgen früh? Geburtstagsgeschenk seiner Firma, das er gerade bekommen habe. Brunch für zwei. Das kommt gelegen! Zumal Donnerstag ist, der letzte Arbeitstag für diese Woche. Die Aussicht auf ein ruhiges Wochenende versetzt mir noch mal so richtig Energie, und nachdem ich meinem Mann die ihm gebührende Aufmerksamkeit geschenkt habe, mache ich mich wieder ans Werk.
In unserem Großraumbüro summt es wie in einem Bienenkorb. Von nebenan dudelt ein Radio herrüber, ständig klingelt ein Handy, das gleichzeitig die nahesten Lautsprecher hysterisch aufbrausen läßt, und hin und wieder fällt die Klimaanlage aus oder der Alarm geht los. Doch in all dem Gewirr lerne ich alle gut kennen, zumal förmliche Grenzen nicht existieren. Wir sind per Du, ohne email wüßte ich nicht mal die Nachnamen meiner Kollegen und selbst Rami, unseren Geschäftsführer, sehen wir nur in Jeans und T-Shirt. Kurz nach 20 Uhr mache ich mich schließlich auf den Weg ins Wochenende. In der Küche startet gerade die Pizza-Party. Nächte im Büro können lang sein. Aber nicht für mich. Nicht heute. Stattdessen schwinge ich mich ins Auto, wappne mich mit den süßen Klängen John Denvers für die 40 km lange Heimfahrt und wähne mich im Geiste schon in trauter Zweisamkeit beim Schlemmerfrühstück unter Palmen...

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