Nordwärts in die Natur

Januar 2007


Fast bewährt sich meine Hoffnung auf Schnee in diesem Winter doch noch. Ganz nahe bin ich schon dem Hermon, dem grauhaarigen Berg, dem weissen Gipfel. Auf der kurvigen Strasse, gesäumt von knorrigen Olivenbäumen, unter denen hin und wieder faul ein paar Kühe grasen oder Ziegenherden vorbeiziehen, die flink über die Brocken rot-grauer Lava springen, rückt er immer näher, der fast 3000er.


Aber dann gebietet uns die Vernunft Einhalt. An einem solchen Wochenende macht es gar keinen Sinn. Eigentlich macht es überhaupt nie Sinn. Jetzt bin ich seit fast sechs Jahren hier und habe noch nie einen Fuss auf diesen Berg gesetzt. Denn im Winter, wenn der Riese über und über mit der weissen Pracht bedeckt ist, machen sich natürlich alle Schneeliebenden auf den Weg ins Skigebiet. Dann herrscht dort Chaos pur. Das sollten wir uns doch lieber nicht antun. So jedenfalls versucht man mir einzureden. Und obwohl ein wenig verstimmt, gebe ich schliesslich nach.


Kehren wir also um. Suchen wir stattdessen lieber eine der vielen kleinen Winzereien auf, die hier im Golan verstreut liegen. Zwar ist Israel (noch) nicht für seine Weine bekannt, doch tatsächlich haben schon einige von ihnen Goldmedaillen in internationalen Wettbewerben eingeheimst. Denn die Golanhöhen sind ein vulkanisches Plateau, dessen Boden und Klima gut geeignet sind für den Weinanbau. Trockene Rotweine herrschen vor, allen voran Cabernet Sauvignon und Merlot, aber auch Weissweine wie Sauvignon Blanc und Chardonnay werden hergestellt. Wir probieren sie alle und geniessen dabei die Leichtigkeit und Gelassenheit des israelischen Nordens. Hier tickt die Uhr anders, hier haben die Dinge Weile. Keine Staus, kein Stress, keine Eile.



Nach einer erholsamen Nacht in einer kleinen Hütte in Mizpe HaShalom—hoch über dem See Genezareth, mit einer phantastischen Aussicht über die Ebene und kleinen Felskaninchen direkt vor der Haustür—, einem Bad im Whirlpool und einem ausgiebigen Frühstück widmen wir uns am nächsten Tag ganz der Natur. Erst wandern wir mit Kind und Kegel den Bach Meshushim entlang bis zu einem natürlichen Teich, der von Basaltsäulen gebildet wird, die aus erkalteter Lava bestehen—ein vermutlich einzigartiges geologisches Phänomen.


Am Nachmittag dann machen wir uns auf zum Hula Naturschutzgebiet. Das Hula-Tal ist ein Sumpfgebiet, in dem alljährlich zehntausende von Vögeln überwintern. Als Israel in den 50er Jahren einen Grossteil des Sumpfes trocken legte, um ihn in landwirtschaftliches Nutzland umzuwandeln (aber auch, um der Malaria Einhalt zu gebieten), zogen sich viele der über 300 Arten aus der Gegend zurück, ganz zu schweigen von seltenen Schildkröten, Fischen und Pflanzen, die ein wahres Fauna-Flora-Wunderland kreierten.

In den 90er Jahren wurde ein Teil des Ödlands wieder überschwemmt, und ein gezieltes Projekt, gesponsort von einer grossen deutschen Fluggesellschaft und Euronatur (Stiftung Europäischen Naturerbes), versucht inzwischen, die verschwundenen Spezies wieder zurückzubringen—und das mit Erfolg.



Als wir uns dem ersten Aussichtspunkt kurz nach 15 Uhr nähern, verschlägt uns die Geräuschkulisse schier den Atem. Kurz darauf passieren wir die hohen Bambusstauden und trauen unseren Augen kaum: Vögel soweit das Auge reicht. Und es werden immer mehr. Ununterbrochen sind sie im Landeanflug. Etwa 30.000 Kraniche, erzählt man uns, seien darunter. Neben Pelikanen, Kormoranen, und ein paar verirrten Flamingos. Die Kraniche kommen übrigens wegen der energieliefernden Erdnüsse her, die im Hula-Tal in Mengen angebaut werden. Das jedenfalls ist momentan die wohl am verbreitetste Theorie. Die lokalen Landwirte sind darüber natürlich alles andere als erfreut. Wir jedenfalls geniessen die Sensation. Und den wunderbaren Sonnenuntergang, den uns das Hula-Tal beschert.

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