Deutschtum?

Januar 2005

Am Hermon haben vor ein paar Tagen die Skilifte geöffnet, aber im Rest des Landes versinken wir in Wassermassen. Ich habe kurz daran gedacht, auf dem Heimweg am Postfach anzuhalten, verwerfe den Gedanken aber schnell wieder, als ich durch die fast 20 cm tiefen Pfützen fahre, die sich innerhalb einer halben Stunde gebildet haben. Dass wir am Freitag bei über 20 Grad gemütlich ein Eis gegessen haben, ist jetzt kaum noch vorstellbar. Inzwischen ist die Temperatur unter die 10 Grad Marke gesunken, und Eis lasse ich lieber Gefrierfach. Jedenfalls heute.
Dass sich bei diesen Fluten gleich wieder neue undichte Stellen in unserer Wohnung offenbaren, obgleich wir schon den dritten Winter hier verbringen, ist ein Ärgernis, an dem man nicht viel ändern kann. Glück nur, dass der Bauherr noch immer sein Unwesen in der Nachbarschaft treibt, so dass wir nur zu pfeifen brauchen, um jemanden herbeizuholen, der sich mit solchen Dingen auskennt. Zum xten Mal rückt Nelo (aus Rumänien) an, um Wände aufzumeißeln und auszugipsen. Dann steigt er aufs Flachdach, um dort die Lage zu erkunden. Am nächsten Tag steht schließlich Ling (aus China) mit einem Eimer Farbe vor der Tür, um die Spuren zu beseitigen. Bis zum nächsten Mal vermutlich.
Dass deutsche Wert- und Massarbeit geographisch beschränkt ist, daran werde ich kurz darauf auch beim Dekorieren des noch unbewohnten Babyzimmers erinnert. Fein säuberlich klebe ich Tür- und Fensterrahmen, Lichtschalter und Steckdosen ab, damit wir unsere Streichaktion starten können. Bis plötzlich der Rahmen der letzten Steckdose komplett mit Kreppband scheppernd aus der Wand fällt. Da hilft nur eins, jedenfalls provisorisch: Die Lampe wieder einstöpseln, damit sie das Plastikgestell an seinem Platz hält. Man wird erfinderisch. Und entwicklt übrigens auch Scheuklappen gegen schief angebrachte Schalter, die nicht ganz das dahinterliegende Loch verdecken, schlecht ausgefugte Kacheln, un-rechtwinklige Zimmerecken und dergleichen. Es gibt schließlich wichtigeres im Leben. Zumal ich ohnehin (fast) die einzige hier bin, die diesen Sachen Beachtung schenkt.
Abgesehen davon ist die Kehrseite der Medaille eine erfrischende Formlosigkeit, mit der die Menschen hier alles und jedem Begegnen. Die kann jedoch einen Israeli in Deutschland wiederum in so manch peinliche Lage bringen – wie unlängst meinen Mann, der beim Mittagessen mit Kollegen auf die höfliche Frage, ob ihm seine Suppe schmecke, frank und frei (und voller Stolz auf seine Sprachkenntnisse) in bestem Deutsch erklärte: "Die Suppe schmeckt schrecklich." Das betretene Schweigen hing eine Weile in der Luft... Knigge hat eben keine globale Relevanz, wenngleich mein Mann seine Lektion gelernt hat. Jedenfalls für seinen nächsten Deutschland-Aufenthalt.Das Babyzimmer ist also inzwischen gestrichen und alle Zeichen stehen auf Ankunft. Die Möbel sind bestellt, bereit zur Lieferung, sobald der Kleine den ersten Schrei tut. Das Krankenhaus ist gewählt, die Kliniktasche soweit gepackt, die letzten Arztbesuche und Untersuchungen stehen an. Bei der Arbeit heißt es, Projekte abzuschließen und zu übergeben (jeder Tag könnte schließlich der letzte sein). Und für ein paar Wochen noch werde ich mich als Kugel durch die Gegend schieben, auch diese Schwerfälligkeit genießend.

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