Jahreszeitzauber

Dezember 2005
Der Zauber der Jahreszeit ist verflogen. In meinem fünften Jahr in Israel läßt meine innere Uhr mich im Stich. Vielleicht liegt es daran, dass ich abends zu müde bin, um Kerzen anzuzünden; dass sich meine Lichterkette versteckt hat; dass ich keine Zeit finde zum Plätzchen backen. Die paar Spekulatius, die Oma mir im Oktober mitgegeben hat und die ich jetzt hin und wieder auf den Tisch stelle, schmecken zwar lecker, aber scheinen irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen. Kekse eben. Wenngleich Yair sich begeistert so viele wie möglich auf einmal in den Mund stopfen will.
Wenn ich morgens aus dem Haus in die für hiesige Verhältnisse kühle Dezemberluft trete, meine ich jedenfalls nicht mehr, Winter riechen zu müssen. 20 Grad Celcius erscheinen mir normal, wenn ich in der Mittagspause kurz über die Strasse flitze, um Windeln zu kaufen. Ich wundere mich nicht über die frischen Erdbeeren im Supermarkt. Stattdessen macht sich der religiöse Adventskalender, den eine Freundin mir nach wie vor jedes Jahr schickt, in meinem Büro irgendwie fehl am Platz aus. Ob er deswegen ständig von der Wand fällt?
Das soll also heißen: sie berührt mich dieses Jahr nicht, die Vorweihnachtszeit. Ich verschwende kaum einen Gedanken daran. Wenn mein Kollege mehrmals am Tag mit einer duftenden Tasse Zimttee durchs Büro läuft, löst dies kaum Assoziationen aus. Und wenn Sonntags und Dienstags, sobald die Obstlieferung eingetroffen ist, Mandarinenduft durch unsere Etage weht, dann genieße ich zwar das Aroma, aber die weihnachtlichen Konnotationen sind verschwunden.
Dabei hat doch letztes Jahr noch alles so schön funktioniert. Ich habe mich abends mit einer Decke vor den Fernseher gekuschelt, bei Kerzenschein Weihnachtstee geschlürft, und meine kribbelnde Vorfreude genossen (die aber im Nu wieder verflog, sobald der Tee getrunken und die Kerzen gelöscht waren). Aber irgendwie klappt das jetzt nicht mehr. Vielleicht, weil ich einfach mit beiden Beinen fester auf dem Boden stehe, seit wir zu dritt sind. Oder gibt es vielleicht ein Verfallsdatum für ansozialisierte Empfindungen und Erwartungen, das jetzt, nach fast fünf Jahren, überschritten ist? Vermutlich bringt das Heimischwerden in einem anderen Kulturkreis solche Verluste eben mit sich.Ein bißchen traurig bin ich schon, dass mir da ein Stück Gefühlserleben einfach so abhanden gekommen ist. Dabei fallen gerade dieses Jahr Weihnachten und Chanukka beinahe zusammen, so dass die Menschen hier von „Chrismukka“ sprechen. Und gerade dieses Jahr löse ich endlich mal mein Versprechen ein, Weihnachten „zu Hause“ zu verbringen. Mit Mann, Kind und Kegel unterm Weihnachtsbaum. Darauf freue ich mich natürlich uneingeschränkt, Weihnachtsgefühle hin oder her. Und wenn ich erst einmal in Deutschland bin, dann schlägt sicher die Regression zu und die alten Mechanismen greifen wieder. Wer weiß, vielleicht wird es ja sogar eine weiße Weihnacht. Ich habe schon so lange keinen Schnee mehr gesehen, dass ich mich darüber doppelt freuen würde.

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