Ausgang

Juni 2005

Wie immer in letzter Zeit bin ich spät dran. Die Zeiten, in denen ich mir einfach meine Tasche schnappen und schnell aus dem Haus eilen konnte, sind vorbei. Zwar hat sich schon so etwas wie Routine eingeschlichen, aber noch immer gibt es hundert Dinge, die mir noch in letzter Minute einfallen, wenn ich bereits—mit dem Kleinen auf dem Arm, Rucksack auf dem Rücken, Tasche in der Hand und Autoschlüssel zwischen den Zähnen (so ungefähr)—abmarschbereit auf die Tür zusteuere.
Dabei dürfen wir uns heute Abend nicht verspäten, gilt es doch, ein hier rares Stück deutscher Kultur zu genießen: Die "Söhne Mannheims" gastieren in Tel Aviv, zu einem Konzert gemeinsam mit ihrem israelischen Kollegen Mosh Ben-Ari. Anläßlich 40 Jahre diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel stellen das Auswärtige Amt, die Deutsche Botschaft Tel Aviv, die Deutsch-Israelische Gesellschaft und das Goethe-Institut in diesem Jahr allerlei Veranstaltungen auf die Beine—politische, sportliche, literarische, musikalische.
19.37 Uhr habe ich endlich Yair in seinem Maxi Cosi (der hier Sal Cal heißt) festgeschnallt und mache mich auf den Weg. Beim Zwischenstopp in Ra'anana laden wir Shai und Peter ein. Peter, ein Kollege meines Mannes aus Deutschland und auf seiner ersten Geschäftsreise in Israel, ist völlig begeistert von dem Land, das so wider Erwarten gar nicht dem Bild entspricht, das die Medien ihm eingetrichter haben.
Erst drei Tage hier, schmiedet er schon Pläne, demnächst mit Freundin und Tocher herzukommen, um mal richtig Urlaub zu machen. Aber bis dahin wird es wohl noch ein wenig dauern. Vorerst jedenfalls setzen wir ihn in Tel Aviv am Friedensturm ab, damit er noch ein bisschen bummeln kann, bevor er in sein Hotel zurückkehrt. Wir düsen weiter, um unseren Sohn für drei Stunden bei seiner Uroma abzuliefern, bevor wir unser letztes Ziel ansteuern: die Oper.
Das Konzert ist gewaltig, die "Söhne Mannheims" in ihrem besten Element. Leitsänger Xavier Naidoo verkündet, für ihn gehe heute ein Traum in Erfüllung—er habe schon immer in Israel auftreten wollen. Rasenden Beifall gibt es gleich zu Anfang, als er in bestem Hebräisch ein religiöses Lied singt. Danach hält es uns alle nicht mehr lange auf unseren Sitzen, und zweieinhalb Stunden später, als die Söhne und Mosh als Zugabe ein gemeinsames Stück improvisieren, tobt der Saal. Das Konzert endet als voller Erfolg, nicht nur für die Musiker, sondern auch für die deutsch-israelischen Beziehungen.
Unser Sohn hat indessen bei Uroma Shulamit ein bisschen geschrien, ein wenig gegessen und dann endlich doch geschlafen. Als ich ihn zurück zum Auto trage, öffnet er nur einmal prüfend die Augen, dann flüchtet er sich wieder in seinen Traum. Warte nur, denke ich, bis du alt genug bist, um selber zu deutschen Konzerten zu gehen. Dass er daran Interesse hat, dafür werde ich schon sorgen. Irgendwie. Die deutschen Kinderlieder, die wir beim täglichen Baden vor dem Zubettgehen hören und singen, sind da schon mal ein Anfang.

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