Neue Horizonte
März 2007
Purim liegt hinter uns, Pessach steht vor der Tür und der Frühling ist eingezogen. Im Dorf, auf dem Weg zum Kindergarten, duften die Erdbeerfelder durchs offene Autofenster herein. Allerorts werden die frischen Früchte angeboten: in Supermärkten, an Bushaltestellen, in Parkbuchten. Zwei Schachteln für 15 Schekel, da schlage ich zu, denn mein Leckermäulchen verdrückt sie schneller, als man kaufen kann.
An manchen Tagen beschert uns der Sharav (ein heisser, trockener Wüstenwind) sommerliche Temperaturen, bevor die Luft schwer wird von Staub und auf den Regen wartet, der sie wieder rein wäscht. Ganz im Einklang mit der Natur sehe ich auch auffällig viele hochschwangere Frauen in diesen Tagen an mir vorbeiziehen. Die meisten von ihnen sind verheiratet, einige verliebt, wenige alleinstehend.
Denn in Israel kann man sich seinen Kinderwunsch selbst dann erfüllen, wenn kein Partner in Sicht ist. Ein Gang zur Samenbank, und schon tuen sich Welten auf. Aber nicht nur das: Das schwule Paar im Haus nebenan hat vor nicht allzulanger Zeit einen kleinen Jungen adoptiert. Manchmal trollt er mit einem seiner Väter über den Spielplatz, glücklich, endlich einen behüteten Platz gefunden zu haben.
Wen es erstaunt, dass Israel sich so fortschrittlich gibt, wird schnell drei gute Gründe finden, zumindest was künstliche Befruchtungen anbelangt: die jüdische Ideologie, viele Kinder zu zeugen, das Holocaust-Erbe und die politische/demographische Situation. Die jüdische Geburtenrate liegt bei 2,7 Prozent, die muslimische jedoch bei 4. Daher hat in Israel jede Frau, ganz gleich ob verheiratet oder nicht, das Recht auf zwei durch IVF (in vitro fertilization) gezeugte Kinder. Israel hat die höchste IVF-Rate der Welt.
Wohl deshalb ist künstliche Befruchtung ein Thema, das offen auf der Strasse diskutiert wird. Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand im Gespräch beiläufig einstreut, seine Kinder seien beide "IVF", ohne dass jemand dies ungewöhnlich findet oder gar eine nähere Erklärung verlangt. Und wenn eine Bekannte plötzlich schwanger ist, obwohl sie seit Jahren ein eingefleischtes Junggesellinen-Leben lebt, wundert niemand sich gross darüber, wer denn wohl der Vater sei. "Sicher IVF, oder?" wird gleich unumwunden vermutet.
Solch ein offener, unvoreingenommener Umgang mit künstlicher Befruchtung ist zweifelsohne umstritten. Dennoch gefällt mir dieses Recht auf Selbstbestimmung, das Horizonte öffnet. Und ganz unabhängig von den Problemen, die eine explodierende Weltbevölkerung mit sich bringt, liebe ich den Kinderreichtum meiner Umgebung, der so viel Ungezwungenheit mit sich bringt und von Lebenslust zeugt. Die Tatsache hingegen, dass in Berlin jedes vierte Kind abgetrieben wird, wie es diese Woche in der "Welt" zu lesen stand, stimmt mich traurig (auch wenn es oftmals sicher gute Gründe gibt). Aber das ist eine andere Debatte.
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